Juni
Ich melde mich mal wieder nach einiger Zeit. Die letzten zwei Monate waren ein bisschen hektisch und es gab einiges zu tun, nicht dass es zuletzt Ostern war. Ich hatte noch zweimal für jeweils eine Woche und Urlaub und habe Besuch von Zuhause bekommen. Als es dann wieder ans Arbeiten ging war es relativ anstrengend, wodurch sich meine Prioritäten geändert haben. Ich hab versucht mehr Schlaf zu bekommen und entspannte Pausezeiten zu haben. Außerdem finde ich meinen Ausgleich indem ich meistens zweimal pro Woche Volleyball spiele und ab und zu Yoga mache. Wobei es sich dabei meistens um Zeiten nach Arbeitsschluss handelt, also nach 21 Uhr. Das lässt dann wieder die Entscheidung schwer ob Schlaf oder das soziale Leben wichtiger ist. Ich denke ich habe mittlerweile eine gute Balance gefunden zwischen meinem Arbeitsleben und meiner Freizeit, obwohl es visuell nicht wirklich trennbar ist. Ob es schön ist oder nicht, aber die Wahrheit ist, dass sich mein Jahr sich dem Ende neigt. Ich bin emotional sehr gespalten was meine Gefühl darüber angeht. Im Moment merke ich selber, dass mein 'Akku' langsam alle geht und bald ein Punkt erreicht ist, an dem mein Aufwand und all meine Mühe etc. nicht mehr steigen kann. Ich weiß nicht, wie man es am besten ausdrückt, aber ich fühle mich erschöpft und ausgelaugt, bereit für was Neues. Ich habe die Zeit bis jetzt soweit es geht genossen und hatte auch Hoch und Tiefpunkte, letzteres vor allem nach der Weihnachtszeit. Insbesondere haben mich die drei Monate in der dunklen kalten Jahreszeit sehr erschöpft. Auch wenn man es nicht glaube, aber die Länge der Helligkeit hat einen sehr großen Effekt auf die Stimmung aller im positiven Sinne. Ich spüre außerdem, dass ich in eine Routine reingekommen bin, ich weiß wie die Dinge laufen, was gut und schlecht für die Bewohner ist, wer was mag und was nicht, wie Personen auf Verschiedenes reagieren und was allgemein beachtet werden muss. Es hat absolut Vorteile dieses ganze Wissen zu haben, da mir die Arbeit um Einiges leichter fällt als vor ein paar Monaten. Ich könnte sagen mit jedem Tag wachse ich bezogen auf meine Persönlichkeit und auf die Aneignung von Wissen. Mittlerweile kann ich sagen, dass man sich gegenseitig gut kennt, nicht nur unter den Kollegen, sondern auch mit den Bewohnern konnten gute, vertrauensvolle Beziehungen aufgebaut werden. Um auf die andere Seite zu kommen kann ich sagen, dass mich der Gedanke an die Realität des Verlassens ein bisschen traurig macht. Ich kann sagen, dass ich mir mit einigen Leuten Arbeit und Freizeit teile und mit Manchen auch noch die Etage mit den Zimmern. Durch diese große Menge an Zeit, die man miteinander verbringt lernt man sich gegenseitig sehr gut kennen und ich hab auch schon enge Freundschaften geknüpft. An sich fällt mir es leicht meine Familie nicht hier zu haben, da ich so gute Freunde hier habe und jederzeit Kontakt via Skype oder Telefon nach Zuhause habe.
August
Und es fühlt sich wie gestern an und doch wie Ewigkeiten her. Es beginnt die Zeit der letzten Male. Das letzte Mal am Strand, in der Stadt, arbeiten, mit bestimmten Bewohnern zu Workshops gehen, die letzte Nacht im eigenen Zimmer, das letzte Mal Party, Lagerfeuer, Escaperoom in Schottland bevor es dann nach Hause geht. Das wird mein letzter und wahrscheinlich etwas umfangreicherer Text sein. Zur Zeit ist es schwierig die letzten Tage entspannt zu genießen, da es so viel zu tun gibt, auch wenn ich Urlaub genommen habe. Ich muss mich drum kümmern, was nach dem Jahr geschieht und das hier alles so ist, wie ich es vorgefunden habe und am liebsten würde ich noch ganz viel Zeit mit meinen Freunden hier verbringen und dann gibt es noch jede Menge Papierkram zu tun für meine Organisation. Ich bin im Moment sehr beschäftigt und bekomme das alles auch nur hin durch gute Organisation. Wenn ich jetzt zurückschaue, war dieses Jahr die mutigste und beste Entscheidung, die ich treffen konnte. Ich habe aus meinem Potential geschöpft, welches noch unendlich größer ist. Von außen betrachtet habe ich mich verändert, aber ich würde behaupten, dass ich mich sehr weiterentwickelt habe, an meinen Schwächen gearbeitet und meine Stärken ausgebaut. Mittlerweile kann ich klarer sehen, an was sich an mir selbst arbeiten muss und mit welchen Stärken ich andere unterstützen kann. Vom Gefühl her ist mein Auge für Menschen in der Öffentlichkeit, welche Unterstützung brauchen viel besser geworden. Eine männliche Person mit einer scheinbaren geistlichen Beeinträchtigung ist ausversehen in die Damentoilette gegangen und hat Schwierigkeiten beim Händewaschen, aufgrund eines Sensors beim Wasserhahn oder eine ältere Frau steigt in den Bus ein und mir fällt direkt auf, dass sie überlegt wie sie ihren Koffer plus Handgepäck verstauen soll. In beiden Situation konnte ich anwenden, was ich hier gelernt habe und beide Personen bestmöglich unterstützen, wofür beide sehr dankbar waren. Wenn ich von meiner Arbeit hier erzähle kommen meistens erst besorgte Bilder in die Köpfe der Zuhörer,was nicht wirklich berechtigt ist. Das Schlimmste, was ich physisch erlebt habe, sind ein paar Schläge auf meinen Arm, am Klamotten ziehen, ein paar ausgerissene Haare, Kratzen und leichtes Kneifen. Hört sich vielleicht schlimmer an als es ist. Ich denke immer wieder als all die schönen Momente mit den Bewohnern zurück. Es waren kleine Sachen und das hat es ausgemacht. Ich habe mit einer Person jedes Mal geübt nach dem Schuhe ausziehen, diese auch aufzuheben und ins Regal zu verstauen und jedes Mal wenn die Person es ohne Aufforderung und Unterstützung gemacht hat, war ich ein bisschen stolzer. Jedes mal wenn ein Bewohner Angst oder unsicher war in einer bestimmten Sache und dann mir vertrauen konnte und ich die Person überzeugen konnte, dass es nichts ist wovor man Angst haben muss, war ich wieder ein bisschen stolzer. Ich habe hier sehr gut sehen und lernen können wo die Grenzen unserer Bewohner liegen. Ob es Höhenangst, Berührungsangst oder Dunkelheit ist, ganz verschieden. In der zweiten Hälfte wurde mir auch immer bewusster, dass noch großes Potential besteht sich diesen Ängsten zu stellen. Es besteht bei unseren Bewohnern oft das Motto „ Was ich nicht kenne, will ich nicht.“ Und das ist sehr oft so mit Personen im Autismusspektrum, würde ich persönlich nach einjähriger Erfahrung behaupten. Am angenehmsten sind regelmäßige Abläufe und Altbekanntes statt Neues und Unbekanntes. Als ich im August ankam, wurde ich sehr herzlich empfangen und trotz allem Neuen hab ich mich wohlgefühlt. Alles kam auf mich zu, schnell und viel, wie eine große Welle ans Ufer. Ich war froh, dass noch andere Freiwillige um die gleiche Zeit gekommen sind, somit hatte ich schonmal Leute gefunden, die sich in der gleichen Situation befanden. Diese Leute wurden danach zu richtig guten Freunden. In den ersten zweieinhalb Wochen sind alle neuen Freiwilligen älteren, erfahrenen hintergelaufen um einen guten Überblick über die Arbeit und den Umgang mit den Bewohnern bei Workshops und anderen Aktivitäten kennenzulernen. Aktuell realisiere ich was für eine Entwicklung wir Freiwilligen und die Bewohner hinter sich haben. Ich hab jetzt nicht nur nicht einen Plan wie ich mit herausfordernden Situationen umgehe, sondern auch an welchen Zielen man arbeiten kann und habe mehr Verständnis wie sich unsere Bewohner fühlen und was das Beste für sie sein könnte. Außerdem war es ein sehr spannender Anfang mit vielen neuen Dingen, die ich noch nicht kannte, vor allem auf die Waldorfpädagogik und Traditionen bezogen. Was mir gerade einfällt, ich könnte es schon als Anekdote bezeichnen. Zuerst muss ich sagen, dass jeder eine Art Stofftasche oder Umschlag hat, worin sich eine Stoffserviette drin befindet, was bei Mahlzeiten immer neben dem Teller liegt. An meinem ersten Tag habe ich verzweifelt nach meinem gesucht als ich an den Tisch kam, da ich nirgens eine Tasche mit meinem Namen gesehen habe. Die Sache war, dass auf meiner Tasche ausversehen der Name Anne draufgestickt wurde. Es gibt viele kleine Momente an die ich mich immer wieder gerne zurückerinnere. Nach fünf Monaten mit einigen Veranstaltungen kam Weihnachten. Diese Zeit habe ich bewusst in Schottland verbracht, da ich sonst nicht wieder so schnell die Möglichkeit gehabt hätte in einem Camphill in Aberdeen Weihnachten zu feiern. Es war eine sehr schöne und gemütliche Zeit. Und so schnell wie Weihnachten vorbei ging, ging auch mein Jahr vorbei. Die letzten Tage sind angebrochen und Montag geht es schon nach Hause. Ich habe die letzten Tage noch intensiv mit meinen besten Freunden hier genossen und das Verabschieden fängt jetzt schon an, aber ich versuche immer im Hinterkopf zu behalten, dass es kein für immer Abschied sein wird, sondern ein Auf Wiedersehen. Ich bin hier mit siebzehn Jahren hingekommen und mit neunzehn gehe ich wieder. Es ist ein merkwürdiger Geburtstag, da ich zwar meine Freunde um mich herum habe, aber ich an meinem Geburtstag allen Tschüss sagen, mein Koffer packen und einchecken muss. Ich möchte glaube ich einfach nur nach Hause und das Haus, worin ich gearbeitet habe, fühlt sich auch nicht mehr nach dem an, was es mal für mich war, ein Zuhause. Vielleicht ein bisschen, aber es kamen so viele neue Leute und alles fühlt sich ein wenig befremdlich an. Ich bin immer noch der Meinung, dass dieses Jahr die richtige Entscheidung war und ich bin so sehr froh hier gewesen zu sein. Ich habe das Gefühl es hat meiner Persönlichkeitsentwicklung immens geholfen und ich sehe mich erwachsener, nicht nur weil ich zwei Jahre älter nach Hause komme. Diese Erfahrungen und Menschen sind es wert und ich werde auf jeden Fall zurück kommen!!!
Alles Liebe Aline
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